Lebensmittel für alle: Luxus oder Normalzustand?

Jeden Montagnachmittag stapeln sich in der Pfarre Gumpendorf etliche Kisten voller Lebensmittel. Im März ging dort eine „Le+O“-Ausgabestelle der Caritas an den Start. Menschen, die an oder unter der Armutsgrenze leben, bekommen um einen Kostenbeitrag von 3,50 Euro je nach Haushaltsgröße bis zu zehn Kilogramm Lebensmittel. Für immer mehr Personen entlasten Angebote wie diese das Haushaltsbudget. Was das mit Ernährungssicherung zu tun hat? Die Regale in den heimischen Supermärkten sind voll, doch viele können sich Lebensmittel zum Normalpreis in ausreichender Menge nicht mehr leisten. Anders ausgedrückt: Ihr ökonomischer Zugang zu Lebensmitteln ist stark eingeschränkt oder nicht (mehr) vorhanden.
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ist der ökonomische und physische Zugang zu Nahrungsmitteln eine von vier Dimensionen, worauf „Food Security“ beruht. Beim Welternährungsgipfel 1996 erklärte die FAO, dass „Food Security“ dann gegeben ist, „wenn alle Menschen – jederzeit – ausreichenden Zugang zu sicheren, nahrhaften Lebensmitteln haben, um ein gesundes und aktives Leben führen zu können“. Die Verfügbarkeit in ausreichender Menge allein gewährleistet aber noch keine Ernährungssicherheit, die genauso wie Ernährungssicherung, Nahrungsmittelvorsorge, Ernährung und Ernährungsverhalten unter den Begriff „Food Security“ fällt. Neben dem ökonomischen und physischen Zugang spielen nämlich auch die adäquate Verwendung von Lebensmitteln, sowie politische, soziale und ökonomische Stabilität eine wichtige Rolle. „Food Security“ gilt als eine der großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.

Eng vernetzt
Dass Ernährungssicherung trotz einer allgemein guten Versorgungslage beim Einzelnen nicht gewährleistet sein muss, irritiert. In den Köpfen vieler dominiert bei Mangel nach wie vor das Bild von Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern, die den Tag mit einer Handvoll Reis überstehen müssen. Jeder kann jedoch aufgrund der globalen Vernetzung zu einem direkt oder indirekt Betroffenen werden – sei es wegen des ökonomischen Zugangs oder aus anderen Gründen. Im Vergleich darf man sich bei uns aber zu Recht auf der „sicheren Seite“ fühlen. Randvolle Supermarktregale belegen Tag für Tag, dass wir genug Lebensmittel haben. Dafür sorgen landwirtschaftliche Betriebe im In- und Ausland und die Lebensmittelindustrie.
Auf dem globalen Lebensmittelmarkt sind die Abhängigkeiten allerdings groß und Unsicherheitsfaktoren wie Klimawandel, Bevölkerungswachstum oder politische Instabilität können auch für uns negative Folgen haben. Nehmen wir die Nahrungsmittelkrise 2007/2008: Zwar traf sie die arme Bevölkerung in Ländern des Südens besonders hart, doch auch bei uns waren die Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln spürbar. Was jedoch alle mehr oder weniger stark betrifft, sind der Klimawandel und das Bevölkerungswachstum.

Klimawandel trifft auf Landwirtschaft
Hier nimmt die Forschung eine wichtige Rolle ein. Vor sechs Jahren wurde die „Joint Programming Initiative on Agriculture, Food security and Climate Change (FACCE – JPI)“ gegründet. Die Krise 2007/2008 führte zu einem stärkeren Bewusstsein für globale Abhängigkeiten und verdeutlichte, wie wichtig resiliente Nahrungsmittelsysteme sind, um Krisen zu überstehen. Mit dem Lebensministerium ist auch Österreich bei dieser europäischen Initiative vertreten. Das Netzwerk „Risikoforschung zum Klimawandel in der Europäischen Landwirtschaft und Ernährungssicherung“ besteht aus mehreren, auch heimischen Forschergruppen, entstand aus der Initiative heraus und verfolgt das Ziel, die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Ernährungssicherung zu ergründen.
Die Bedeutung des Klimawandels für die Landwirtschaft zu erforschen wird wohl auch deshalb als notwendig erachtet, da es sich um einen Wirtschaftszweig handelt, der den Veränderungen besonders ausgesetzt ist: Wetterextreme, die Verteilung des Niederschlags und veränderte Wachstumsperioden sind Herausforderungen, die den Einzelnen überfordern. Selbst die Biodiversität könnte sich wegen des Zusammenwirkens von Klimawandel, Lebensraumzerstückelung und Verstädterung ändern…

Kleine Maßnahmen, große Wirkung
Zu den schwersten Folgen zählen Ernteausfälle. Damit diese keinen massiven Anstieg der Lebensmittelpreise nach sich ziehen, sollten sich laut Experten die Produktionsmethoden möglichst in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln. Der Schutz von Ressourcen wie Boden und Wasser gewinnt an Bedeutung, denn sie bilden die Basis für hohe Erträge. So wird der Boden etwa durch eine bodenschonende Bearbeitung kaum beeinträchtigt. Landwirten stehen hier verschiedene Möglichkeiten (kleinere Maschinen, pfluglose Bearbeitung, Untersaaten, etc.) offen. Problemen wie Verdichtung, Erosion oder Versauerung kann man damit teils vorbeugen.
Die Ursachen für Schädlingsbefall oder Pflanzenkrankheiten zu ergründen, macht sich ebenfalls bezahlt. Werden Pflanzenschutzmittel wie beim integrierten Pflanzenbau fachgerecht eingesetzt, fördern sie die Pflanzengesundheit und schützen vor diversen Pflanzenkrankheiten und Schädlingen – durch den Klimawandel verändern sich auch deren Vorkommen, Verbreitung und Bandbreite. Die moderne Pflanzenzüchtung und die Forschung zu Pflanzenschutzmitteln befassen sich mit gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen und suchen nach Lösungen, die sowohl Erträge sichern, als auch die natürlichen Ressourcen schonen. Wie auch immer Ernteausfällen oder -schäden vorgebeugt werden kann – ein Beitrag zur Ernährungssicherung ist es auf jeden Fall.

Mehr Menschen, größerer Bedarf?
Nicht zuletzt mehren sich Ernteausfälle wegen Trockenheit oder Unwetter auch hierzulande. Gleichzeitig geht Tag für Tag wertvoller Boden verloren und die Nachfrage nach Lebensmitteln steigt. Die ergibt sich aus dem Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung und dem „Nonfood-Bereich“. So schätzt die FAO, dass im Jahr 2050 rund neun Milliarden Menschen die Erde bevölkern. Könnte die weltweite landwirtschaftliche Ernte vollständig und effektiv eingesetzt werden, würde sie laut Ökosozialem Forum bis zu 14 Milliarden Menschen ernähren. Davon sind wir allerdings weit entfernt. Verluste vom Feld zum Teller sind genauso Fakt wie ein hohes Maß an Lebensmittelverschwendung.
Inwiefern andere Ernährungsgewohnheiten – wenig bis gar kein Fleischkonsum in Industrienationen – positiv zur Ernährungssicherung beitragen würden, wird kontrovers diskutiert. Einem möglichen Wandel der Ernährungsgewohnheiten in Richtung mehr Fleisch und verarbeitete Produkte bei großen Teilen der Weltbevölkerung sehen andere wiederum mit Besorgnis entgegen. Wie auch immer sich dieser Aspekt entwickelt: Ertragssteigerungen sind nur dann sinnvoll, wenn sie vorhandene Ressourcen schonen und auf Nachhaltigkeit bauen. Schließlich ist die Landnutzungsfläche für landwirtschaftliche Produktion beschränkt und nimmt laufend ab. Ob man es nun spürt, weil man von Lebensmittelausgaben leben muss, oder sich als Landwirt vielerlei Problemen gegenüber sieht: Ernährungssicherung geht uns alle an – hier, jetzt – und in Zukunft vielleicht noch viel stärker.