Vegan, vegetarisch – oder doch nicht?
Ernährung: Die Krux mit Trends
Knusprig gebratene Augsburger mit Röstkartoffeln oder eine Portion „Blunzn“ mit Senf und Kren: Für viele Liebhaber von Fleisch und Wurst gehört so etwas auf den Speiseplan, wie das Salz in die Suppe. Bei Veganern hingegen stellen sich wohl allein schon bei dem Gedanken daran die Nackenhaare auf. Was die einen lieben, ist für andere aus gesundheitlichen und ethischen Gründen zutiefst verwerflich. Kein Wunder, dass nach wie vor die Wogen zwischen den Fleischtigern auf der einen und den „echten“ Veganern auf der anderen Seite hochgehen. In letzter Zeit scheint es auch für den Durchschnittstyp jedoch trendy zu sein, sich vegan zu ernähren. Zahlreiche Kochbücher, etwa „Vegan for fit“ von dem deutschen Kochbuchautor und Fitnessmodel Attila Hildmann transportieren Werte, die in einer Leistungsgesellschaft einen hohen Stellenwert genießen - seine Website verrät es: „Gesünder, schlanker, jünger – mit Genuss!“ Im Mittelpunkt steht eine kreative Gemüseküche. Vom Schattendasein als mehr oder weniger beliebte Beilage hat sich Gemüse zum Symbolträger für Gesundheit etabliert. In westlichen Industrienationen macht es dem Fleisch als Symbol des Aufstiegs, zu dem es im Nachkriegseuropa avancierte, zunehmend Konkurrenz.

Wurst mit Geschichte
Dabei haben gerade in Österreich etliche Fleisch- und Wurstprodukte eine teils sehr lange Tradition. Blutwurst wurde bereits in der Antike hergestellt und zählt zu den ältesten Wurstsorten des europäischen Kulturraums. Genau wie die Augsburger steht auch sie auf der Liste der traditionellen heimischen Lebensmittel des Ministeriums für ein lebenswertes Österreich. Darüber hinaus wurde und wird Fleisch wegen seines hohen Protein- und Energiegehalts aus ernährungsphysiologischer Sicht als hochwertiges Lebensmittel betrachtet. Nichts desto trotz hat Fleisch wie kaum ein anderes Lebensmittel eine symbolische Tragweite, die sich bis in ökologische, soziale und gesundheitliche Bereiche erstreckt und viel Stoff für Kontroversen bietet – was man von Brokkoli oder Kohlrabi kaum behaupten kann. Als Symbolträger wird Fleisch entweder neutral als Lebensmittel betrachtet, idealisiert oder gar ideologisiert. Bei den Theorien der US-amerikanischen Sozialpsychologin und veganen Aktivistin, Melanie Joy, geht es nicht mehr nur um das Fleisch, sondern um die Gründe, warum Menschen andere Tiere überhaupt essen. Joy prägt den Begriff des „Karnismus“, geht mit Fleischessern hart ins Gericht und spricht sich dafür aus, dass Fleischessen, oder nicht, eine Frage der sozialen Gerechtigkeit ist.

Ist vegan „trendy“?
Fakt ist, dass allein in Österreich laut Statistik Austria im Jahr 2013 rund 65,3 Kilogramm Fleisch pro Kopf verzehrt wurden. Ein Wert, der von mehreren Seiten als zu hoch eingestuft wird. Dieser hält sich seit Jahren relativ stabil, ist aber rund dreimal so hoch wie noch in den 1950igern. In einer umfassenden Analyse zum Fleischverbrauch in Österreich zwischen 1950 und 2010 (Social Ecology Working Paper 139) hat sich Theresa Willerstorfer intensiv damit beschäftigt. Angesichts dieser Entwicklungen, zusammen mit Sorgen um das Tierwohl und den Klimawandel, ist für manche der völlige Verzicht auf tierische Produkte die einzige Lösung und der Veganismus sowohl moralisch, als auch ökologisch und gesundheitlich der einzig gangbare Weg. Diesen gehen immer mehr Menschen, aber aus anderen Motiven. In seiner derzeitigen Präsenz in Handel, Gastronomie und auch in heimischen Küchen wird bereits von einem Hype gesprochen und erinnert mehr an einen Food-Trend, denn an ein Nischenthema. Mit dem Effekt, dass über mögliche Folgen, zum Beispiel für die Gesundheit, teils zu wenig nachgedacht wird. Welchen Dynamiken Food-Trends generell folgen, damit befasst sich auch die Ernährungswissenschafterin Hanni Rützler vom Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main im Food Report 2015: Epizentrum ist stets eine Minderheit. Das sind entweder Personengruppen mit starken Motiven und Leidenschaften oder solche, die bestehende Probleme als besonders erdrückend empfinden. Daraus kann sich ein Trend entwickeln, der dann entweder mit anderen Food-Trends fusioniert, verebbt, oder zum Mainstream wird. Als Beispiel nennt die Autorin „Local Food“, als dessen Epizentrum u.a. die Bewegung „Locavores“ in San Francisco identifiziert wird. Daraus entstanden verschiedene Trends, wie die Etablierung von „Genussregion“ als Tourismusmarke. Das Nischenthema bewegt sich letztlich immer mehr in Richtung Mainstream. Während Regionalität bei Lebensmittel durchaus ein Wert ist, der auf eine breite Basis baut und den sowohl Fleischesser, als auch Veganer teilen können, polarisiert der völlige Verzicht auf tierische Lebensmittel. Als Trend bringt er allerdings auch viele dazu, über ihren Fleischkonsum nachzudenken – ob der Schwenk ins andere Extrem der beste Weg ist, ist schwierig, zu beurteilen. Das Gesundheitsargument trifft jedenfalls den Zeitgeist.

Selbst kochen statt aufwärmen
Speziell bei den „Flexitariern“, in der Literatur auch als Teilzeitvegetarier betitelt, spielt gesunde Ernährung eine große Rolle. Sie essen deutlich weniger Fleisch, dafür mehr Gemüse und Getreideprodukte. Im Unterschied zu den Hardlinern unter den Veganern setzen sie dabei weniger auf Moral, denn auf Pragmatismus. Damit stehen sie europaweit nicht allein da, wie der Report „The '2013-2014' Data & Trends of the European food and drink industry“ bestätigt. Ethische Aspekte wie Solidarität oder Ökologie zählen unter den Food Innovation Trends zu den Schlusslichtern. Lebensmittel, die alle Sinne ansprechen („variety of senses“), Kultiviertheit transportieren („sophistication“) und die eine unkomplizierte Handhabung versprechen („easy to handle“) sind die Top-3 unter den gegenwärtigen Trends. Einfach zu zubereiten – die Rede ist von Halb- und Fertigprodukten: Immer öfter greifen Konsumenten zu verarbeiteten Lebensmitteln – auch Veganer oder jene, die auf diesen Zug aufspringen wollen. Ob man mit dem Schwenk hin zu veganer Ernährung letztlich tatsächlich gesünder lebt, hängt nicht nur von der Wahl der Lebensmittel, sondern auch von der Zubereitung ab. Zwar klingt der vegane Ernährungsstil auf den ersten Blick vielversprechend: Pflanzliche Lebensmittel gelten als gesund, belasten die Umwelt weniger, als Fleisch und erzeugen kein Tierleid. Aber erstens: Vieles davon lässt sich durchaus bestätigen, etwa über den ökologischen Fußabdruck oder Treibhausgasemissionen. Unter den Bedingungen einer globalisierten Welt sollte man manches aber auch kritisch hinterfragen. Zweitens: Fleisch zum Feindbild zu erklären ist eine einseitige Betrachtungsweise, die andere Aspekte, etwa Almwirtschaft oder die Entwicklungen in punkto Tierhaltung, außer Acht lassen.
Besonders heikel ist das Thema vegane Ersatzprodukte, die auf Soja (Tofu, Tempeh, Sojagranulat) oder Gluten, dem Klebereiweiß des Weizenmehls (Seitan), basieren. Inzwischen haben sie es vom Tante-Emma-Laden in die Supermarktregale geschafft und die Bandbreite wächst. Veggie-Burger, Soja-Geschnetzeltes, Tofu-Würstl: Damit sie auch nach was schmecken und appetitlich aussehen, sind nicht nur pflanzliche Produkte, sondern meist auch Zusatzstoffe nötig. Die Verbraucherzentrale Hamburg nahm in ihren Untersuchungen zu veganen Produkten einiges unter die Lupe. Oft enthalten sie zu viel Fett, viele Aromen und Zusatzstoffe und zu viel Salz. Gerade das Übermaß an Salz ist laut dem Österreichischen Ernährungsbericht 2012 ein gängiges Problem. Bei mehr als der Hälfte der erwachsenen und älteren Menschen liegt die Aufnahme über dem als gesundheitlich bedenklich eingestuften Wert von 10g pro Tag und auch gesättigte Fettsäuren – vor allem durch ein Zuviel an Fleisch- und Wurstwaren, könnte optimiert werden. Mehr Fisch und hochwertige pflanzliche Ölen sind eine Option. Dass die Veredelung, etwa von Soja, ein lukratives Geschäft ist, realisiert auch die Fleischindustrie. Wie etwa die „Like Meat GmbH“ in Niedersachsen, wo es unter dem Schlagwort „100% pflanzlich – 100% gesund“ von der Bratwurst bis zum Döner vieles gibt, was ehemalige Fleischtiger auf den Geschmack bringt.
Ärmel hochkrempeln
Ist der Verzicht auf Fleisch und der Griff zu pflanzlichen Produkten, ob als Rohkost oder als Halbfertig- oder Fertigprodukt nun der Königsweg – auch, um das Klima zu retten und den Welthunger zu stillen? Fakt ist, dass sich überall auf der Welt die Ernährungsgewohnheiten im Wandel befinden. Prognostiziert wird, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,2 Milliarden wächst. Das hieße, dass um 70 Prozent mehr Lebensmittel produziert werden müssten. Auch was die Fleischproduktion betrifft, erwarten sich Experten einen massiven Anstieg. Gleichzeitig rechnet man vor, dass der Wasserverbrauch künftig um 40 Prozent steigt. All diese Prognosen kreisen im Kern um ein komplexes Thema, nämlich die Frage der Ernährungssicherung. Seit 1. Mai findet in Mailand die Weltausstellung „Expo Milano 2015“ statt. Das Thema lautet „Feeding the Planet, Energy for Life“ und die EU-Kommission will bis zum Welternährungstag im Oktober die Rolle von Forschung und Innovation für eine sichere und nachhaltige Versorgung mit Lebensmitteln im Rahmen einer Online-Befragung ergründen. Der schonende Umgang mit Ressourcen bei gleichzeitiger Produktivitätssteigerung scheint das Gebot der Stunde, wenngleich man vielerorts zugegebenermaßen noch meilenweit davon entfernt ist.

Vegan: Ein „Allheilmittel“?
Verspricht man sich von einem veganen Ernährungsstil zurecht eine ökologisch reine Weste? Echte“ Veganer würden das wohl mit „Ja“ kommentieren, da sie keine Produkte, die mit Tieren in Zusammenhang stehen verzehren oder konsumieren. Ein Beispiel ist die bio-vegane Landwirtschaft, wo weder Tiere, noch tierische Produkte wie Gülle, genutzt werden. Nicht zu vergessen die anarchistischen Veganer. Angaben zur Anzahl der Vegetarier und Veganer in einem Land sollten allerdings mit Bedacht und mit Blick auf die Quelle, betrachtet werden; trotz starker Zuwächse, wie die Vegane Gesellschaft Österreich, die das V-Label an heimische Firmen vergibt, beobachtet. Für jedes Argument, etwa für Weideviehhaltung mit Hinblick auf die Almbewirtschaftung, finden sich auf Seiten der Veganer und Vegetarier aus deren Sicht stichhaltige Gegenargumente. Als Konsument ist es schwierig, sich hier ein ausgewogenes, faktenorientiertes Bild zu machen. Dazu ist Wissen nötig, vor allem auch zu den heimischen Gegebenheiten. So gilt Österreich etwa EU-weit als Vorbild in Sachen Tierhaltung und wie „Lust aufs Land“ der AGRO Werbung aufzeigt, weist Österreich im Rahmen einer EU-Studie die geringsten Emissionen pro Kilogramm Rindfleisch- und Milchproduktion auf. Das hängt mit einem hohen Selbstversorgungsgrad bei Futtermitteln und einem hohen Grasanteil im Futter zusammen. Nichts desto trotz gibt es sowohl in der Tierhaltung, als auch bei der Produktionsweise nach wie vor Optimierungspotenzial in Richtung Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und zur Vermeidung von Tierleid. Bei der ganzen Debatte fehlt oft jedoch ein wichtiger Punkt: Die Verantwortung der Konsumenten. Lebensmittelverschwendung, ob von pflanzlichen oder tierischen Produkten, spielt in punkto Treibhausgasemissionen genauso eine Rolle wie Einkauf und Zubereitung. Zwar haben Fleisch- und Fleischprodukte einen größeren ökologischen Fußabdruck als pflanzliche Lebensmittel. Dieser ist allerdings auch über das eigene Handeln – z.B. Nutzung oder Verschwendung – beeinflussbar. Hier und indem man auf die Herkunft, auch von Soja, achtet, ist viel erreichbar. Selbst wie Konsumenten den letzten Kilometer zurücklegen, fällt ins Gewicht. Letztlich hat die Reduktion des Fleischkonsums auf ein Drittel bereits eine große Wirkung auf Gesundheit und Umwelt. Es geht dabei um viel: Nämlich um den schonenden Umgang mit Ressourcen, was Konsumenten mit in die Pflicht nimmt.