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IGP Dialog: Experten warnen vor Banalisierung von Lebensmitteln

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Experten warnen vor Banalisierung von Lebensmitteln

Ein hochkarätig besetztes Podium diskutierte bei dem von der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP) organisierten dritten IGP Dialog die Frage „Who feeds the world? – Österreich zwischen regionaler Selbstversorgung und globalem Supermarkt“. Im Zentrum der Diskussion standen die Frage der Ernährungs- und Lebensmittelsicherheit in Österreich und auf globaler Ebene sowie aktuelle und künftige Herausforderungen: sinkende Lebensmittelpreise in Österreich und Europa, sich ändernde gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen und steigende Bevölkerungszahlen bei sinkenden Agrarflächen. Nach einer Begrüßung durch IGP Obmann Christian Stockmar und einer einführenden Keynote von Alexander Müller vom deutschen Sustainability-Thinktank TMG – Töpfer, Müller, Gaßner diskutierten Michael Blass (Geschäftsführer der Agrarmarkt Austria), General Othmar Commenda (Österreichisches Bundesheer), Katharina Koßdorff (Fachverband der Nahrungsmittelindustrie), Hermann Schultes (Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich) und Reinhard Wolf (Generaldirektor der RWA Raiffeisen Ware Austria). Durch die Veranstaltung in der Wiener Labstelle führte Martina Salomon.

Christian Stockmar wies in seinen einleitenden Worten auf ein aktuelles Problem hin: das mangelnde Qualitätsbewusstsein bei Lebensmitteln. „Österreich ist ein Musterschüler hinsichtlich der Qualität der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Doch wenn Konsumenten nicht bereit sind, die entsprechenden Preise zu zahlen, erweisen wir unseren Bauern einen Bärendienst“, erläuterte Stockmar einen der Gründe für den starken Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich.

Preise sinken, Anforderungen an die Landwirtschaft steigen
Alexander Müller betonte, dass es angesichts der drei zentralen Herausforderungen für die Landwirtschaft – die globalen Trends und Entwicklungen, die Lebensmittelabfälle sowie die Situation und Preise auf den Weltmärkten – eine gemeinsam entwickelte Strategie brauche. Dazu zählen etwa Investitionen in landwirtschaftliche Forschung, um die natürlichen Ressourcen besser nutzen und sich auf künftig herrschende Bedingungen bestmöglich vorbereiten zu können. Aber auch die Verschwendung von 1,3 Milliarden Tonnen an essbaren Lebensmitteln pro Jahr stelle ein großes Problem dar und erfordere eine gemeinsame Strategie. „Die Welternährung ist eines der beiden großen weltpolitischen Themen neben der Energiegewinnung und -nutzung“, so Müller. Prognosen erwarten einen Bevölkerungsanstieg auf rund 10 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050, vor allem die Entwicklung in Afrika und Asien sei entscheidend für die Welternährung.

Es braucht eine gemeinsame europäische Agenda
„In vielen Regionen der Welt herrscht aktuell ein Nahrungsmittelmangel. Hunger ist eine der Hauptursachen für Krisen, Unruhen und kriegerische Auseinandersetzungen und wird zu großen Migrationsströmen führen. Darauf gilt es Antworten zu finden, und dafür braucht es eine ganzheitliche Herangehensweise“, meinte Othmar Commenda. Er betonte aber auch, dass in Österreich zwar ausreichend Lebensmittel zur Verfügung stehen, aber im Falle eines großflächigen Stromausfalls die Versorgungssicherheit ein großes Problem wäre: „Österreich ist nicht gerüstet für einen Verlust der Stromversorgung. Das Problem ist nicht, dass es zu wenige Lebensmittel gäbe, sondern die Verteilung dieser Ressourcen im Krisenfall.“

Auch Reinhard Wolf sagte, dass Österreich über genügend Lagerkapazitäten für Lebensmittel verfügt. Aber: „Wenn kein Strom vorhanden ist, dann funktionieren keine Elevatoren in Silos, dann können Produkte nicht tiefgekühlt und Milchprodukte nicht abgefüllt werden. Die Versorgungskette mit IT und Logistik hängt in hohem Maße von einer funktionierenden Stromversorgung ab“, unterstrich Wolf. Die Diskussion in Deutschland habe aber glücklicherweise zu einer Sensibilisierung der Verantwortlichen in diesem Bereich geführt.

Dennoch mangelt es laut Hermann Schultes immer noch an Konzepten: „Die Unterstützung eines handlungsfähigen und nachhaltig produzierenden agrarischen Sektors muss auch auf EU-Ebene ein zentraler Punkt sein.“ Aktuell sei etwa Holz teurer als Getreide, betonte Schultes, und das stelle die Landwirte vor große Herausforderungen.

Konsumenten mit ins Boot holen
Katharina Koßdorff sieht dabei auch die Konsumenten in einer Schlüsselrolle. Es müsse wieder ein Bewusstsein geschaffen werden, dass Lebensmittel wertvoll sind. „Wenn in Österreich pro Person und Jahr Lebensmittel im Wert von 300 Euro im Müll landen, ist das doch ein Handlungsauftrag. Es braucht etwa Projekte in Schulen, um mehr Wissen über Nahrungsmittel zu transportieren“, so Koßdorff. Der Nahrungsmittelindustrie komme hier eine entscheidende Rolle als verbindendes Glied zwischen Landwirtschaft und Handel zu.

Michael Blass sieht ebenfalls eine „Banalisierung“ von Lebensmitteln in der Bevölkerung. „Früher waren Lebensmittel Rohstoffe, die unerlässlich waren, um Speisen zuzubereiten. Heute sind Lebensmittel durch niedrige Preise und ihre ständige Verfügbarkeit für uns ein Stück weit banal und nebensächlich geworden.“ Hier müsse etwas unternommen werden, denn in der Abwertung der Nahrungsmittel und der Arbeit derjenigen, die diese Lebensmittel herstellen, liege eines der Hauptprobleme nicht nur des landwirtschaftlichen Sektors, sondern auch der gesamten Gesellschaft.

Einig waren sich die Diskutanten, dass es zur Bewältigung dieser großen Herausforderungen vor allem eines braucht: eine ganzheitliche europäische Strategie und ein klares Bekenntnis dazu, welche Ausrichtung die Landwirtschaft in Zukunft haben soll.

Video links ist die Kurzversion, jenes rechts die Langversion.

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